Mittwoch, der 05. Juni 2019 etwa 7:00 Uhr. Ein leises, aber beständiges Trommeln auf dem Zelt weckte mich. Es regnet. Super, dachte ich mir und kroch etwas tiefer in meinen Schlafsack. Was war denn mit der Ansage meines Zeltnachbarn vom Vorabend, dass wir morgens Sonne auf dem Zelt haben? Es dauerte nicht lange und mein Zeltnachbar wurde ebenfalls wach. Doch statt die Situation hinzunehmen kamen einige Flüche und hektische Packgeräusche herüber. Ich machte die Augen nochmal zu und wartete ab. Als ich etwa eine Stunde später aus meinem Schlafsack und meiner Dackelgarage krabbelte, nieselte es nur noch ein wenig. Also holte ich erstmal mein Fahrrad vom Fahrradständer unter den einigermaßen Schutz bietenden Baum und wartete ab. Dabei sah ich meinen Zeltnachbarn auch nochmal in voller Regenmontur am Zeltplatz vorbeifahren. Zum Frühstück gönnte ich mir eine Banane und meine letzten Kekse. Der Nieselregen ließ nach einer Weile allmählich nach, was meine Laune auch merklich verbesserte. Nachdem ich mich frisch gemacht hatte, begann ich meine Sachen zusammenzupacken. Zeitgleich sammelte sich eine Schulklasse auf dem Parkplatz, die aber überwiegend mit dem Handy beschäftigt waren.
Auf, zur letzten Etappe
Als ich dann gegen 9 Uhr abfahrbereit war, hatten sich große Löcher in der Wolkendecke gebildet, durch die immer wieder die Sonne hervorkam. Ich verließ den Campingplatz, radelte zur Hauptstraße zurück und nahm die letzte Etappe nach Göteborg in Angriff. Es dauerte gar nicht lange bis ich an eine Bushaltestelle kam, die von einem Karnevalsverein in Beschlag genommen wurde. Nicht nur vorbeifahrende Autos, auch ich wurde mit viel Jubel und Applaus begrüßt, was ich mit gleichwertiger Euphorie beantwortete. Wie ich es schon gewohnt war, schlängelte sich der Radweg dann weiter durch einige ruhige Felder und Wiesen und selbst quer über den ein oder anderen Golfplatz!
Vom Golfplatz aus ging es dann wieder zurück ans Meer. Der Radweg wollte es auf der letzten Etappe nochmal wissen, und so strampelte ich einige Hügel hinauf, bis ich schließlich wieder ans Meer kam, wo die Radwege etwas ebener verliefen. Ich fuhr an einigen kleinen Buchten entlang, während die Sonne mir in den Nacken schien. Immer mehr Schären zeigten sich an der Wasseroberfläche und prägten die typische schwedisch/norwegische Küstenlandschaft. Manche ufernahe Schäre wurden schnell mal als Fundament für kleine Badehäuser genutzt.
An den Uferhängen standen unzähligen Wohn- und Ferienhäuser die zum Bleiben verlockten, aber ich setzte meinen Weg fort und erreichte kurz vor Mittag die Vororte von Göteborg. Da die Stadt etwas im Landesinneren liegt, folgt der Kattegattleden dem Verlauf des Flusses Göta älv (der gotischen Elbe) in Richtung Zentrum. Die letzte Pause meiner Tour verbrachte ich an einem kleinen Strand kurz vor der Älvsborgsbron Hängebrücke ein.
Ich aß mein letztes Obst, streckte meine Füße erst ins Wasser und dann in den Sand bevor ich ein paar Meter weiter schon mal ein vorzeitiges Jubelfoto mit der beeindruckenden Ävlsborgsbron im Hintergrund schoss.
Großstadttrubel
Auch wenn der Wechsel von den recht einsamen Radwegen auf dem Land zum Großstadtverkehr langsam von statten ging, war es schon ungewohnt plötzlich wieder durch Häuserschluchten zu radeln mit zahllosen Fußgängern und ebenso zahllosen Autos. Glücklicherweise bot sich zu meiner linken noch der Blick über das weitläufige Hafengelände mit dem einem oder anderen guten Fotomotiv.
Irgendwann bog der Radweg dann aber doch mehr in Richtung Innenstadt ab und ich radelte über super ausgebaute zweispurige Wege dem Zentrum Göteborgs entgegen. Doch auch Superradwege müssen instandgehalten werden und so stand ich bald vor einem Baustellenabsperrungen. Vorbei war es da mit dem schattigen Radweg. Ich musste die Straße überqueren und auf der Sonnenseite der Nya allén auf den Kungsparken zuradeln. Da die Schweden aber ein von sich aus sehr freundliches Volk sind, hielten sich die Fußgänger auf der einen Seite des Weges, während die Radfahrer sich die andere Hälfte teilten. Und das klappte wunderbar. Im Kungsparken, einem kleinen Stadtpark, säumten dann wieder schattenspendende Bäume den Weg, denn die Temperaturen waren, im Vergleich zu der vergangenen Woche, erstaunlich hoch. Das lockte viele Göteborger raus und sie machten es sich auf fast jeder freien Grünfläche bequem.
Ich folgte der Nya Allén weiter und sah immer mehr Jungendliche in Karnvalsvereinskleidung, dachte ich jedenfalls. Kurz darauf kam mir ein ganzer LKW mit einer Wagenladung feiernder Teenager entgegen und in bester Love-Parade-Manier beschallten sie die Stadt. Ich freute mich natürlich über den Jubel und den Applaus bei diesem überschwänglichen Empfang und jubelte zurück. Später fand ich heraus, dass der Jubel nicht mir galt, sondern dass die Teenager ihren letzten Schultag feierten. Schade eigentlich, aber ich hatte trotzdem Spaß auf den letzten Metern des Kattegattleden.
Wie, das war’s schon?
Wenige Minuten später rollte ich aus dem Park heraus und erreichte den Vorplatz des Göteborger Hauptbahnhofes. Hier war vielleicht was los! Hunderte Leute, die kreuz und quer über den Platz stiefelten, weitere hundert, die Fotos schossen, und ich mittendrin mit meinem Fahrrad auf der Suche nach dem Endpunkt des Kattegattleden. Endlich fand ich ihn, fuhr darauf zu und parkte punktgenau vor dem Schild. Ich stellte das Rad ab, nahm meine Trinkflasche und gönnte mir einen groooßen Schluck Wasser! Na, was dachtet ihr denn jetzt? Ich musste doch noch weiterfahren auch wenn meine eigentliche Tour beendet war.
Da stand ich nun am frühen Nachmittag, die Sonne brannte auf den Vorplatz des Bahnhofs nieder und ich grinste vor mich hin. Ich hatte gelacht und gelitten, gefeiert und geflucht, war gestrampelt und gerollt. Nach einer gerade mal 55 km langen Schlussetappe stand ich nun tatsächlich Kraft meiner eigenen Muskeln, ohne Abkürzung oder Hilfsmittel mitten in Göteborg und die Tour war zu Ende. Ich war happy es geschafft zu haben. Kein Unfall, keine Panne (das mit der platten Luftmatratze zählt nicht) aber wahnsinnig viele neue Eindrücke!
Nachdem ich mein Grinsen einigermaßen unter Kontrolle gebracht hatte, schnappte ich mir mein Rad und startete meine Rücktour dort, wo ich aufgehört hatte. Also, naja, eigentlich nur den Rückweg zum Hotel. Ich bin nicht den ganzen Weg wieder zurückgeradelt. Mein Hotel für die letzte Nacht in Schweden war ein ganzes Stück auf dem Kattegattleden zurück, gegenüber vom Fährhafens. Aber bevor ich dorthin radelte, fuhr ich noch eine kleine Runde durch die Innenstadt Göteborgs und gönnte mir in einer Tacobar einen ausgezeichneten Burger und als Nachspeise einen superleckeren Milchshake. Nachdem ich anschließend sogar noch eine Touristeninformation fand, die nicht nur zwei Postkarten zur Auswahl hatte, deckte ich mich mit reichlich Postkarten und Briefmarken ein.
Nun konnte ich meinen Rückweg zum Hotel antreten. Das hieß natürlich durch die feierwütigen Schulabgänger zurück in die Nähe des Fährhafens. Aber ich war mehr als gut gelaunt, und auch gut gesättigt. So erreichte ich gegen 16 Uhr mein Hotel und checkte ein. Mein Fahrrad konnte ich in der hoteleigenen Tiefgarage parkten und fuhr dann, vollbepackt mit vielen Taschen mit dem Aufzug zu meinem Zimmer hoch. Dort packte ich als erstes mein Zelt nochmal aus, um es noch endgültig trocknen zu lassen und nahm dann eine ausgiebige heiße Dusche. Da meine Vorräte, bis auf Wasser aufgebraucht waren, ging ich anschließend in die Lobby, nahm mit einem alkoholfreien Bier im Restaurant Platz und begann Postkarten zu schreiben. Später bestellte ich noch ein Sandwich und verspeiste es in aller Ruhe. Vor dem Hotel befand sich auch ein Briefkasten, der noch mit meinen Postkarten gefüttert wurde und dann ging ich zurück auf mein Zimmer, wo ich erschöpft aber glücklich ins Bett fiel.
© nxcalibur, a.k.a. DER gÖTTERGATTE
„Fahrradfahren ist für mich wie ein kleiner Urlaub.“ (Wigald Boning, deutscher Komiker und Moderator, *1967)
Und ich dachte schon, ich bin die Einzige, die noch Postkarten schreibt.